Oberwesel am Rhein
Wenige Kilometer stromabwärts von Bacharach liegt die Stadt Oberwesel. Nicht
ganz so berühmt, nicht ganz so pittoresk wie Bacharach, aber sehr alt und schon
zu keltischer Zeit vom Volk der Treverer besiedelt. Im 3. Jahrhundert n. Chr.
wurde Wesel, das spätere Oberwesel, dann bereits unter dem Namen "Vosolvia"
oder "Vosovia" als eine der Haltestationen an der römischen Heerstraße entlang
des Rheins genannt, wo man Rast machte und die Pferde wechselte. Später, nach
Abzug der römischen Truppen, erhoben die nachrückenden Franken den Ort unter
dem neuen Namen "Wesalia" (bzw. "Vesalia" oder "Wesile") zum Verwaltungssitz
und Fiskalbezirk für diesen Mittelrhein-Abschnitt einschließlich der umliegenden
Dörfer. Um die Jahrtausendwende gelangte Wesel dann für 200 Jahre in den
Besitz des Erzbistums Magdeburg. Erst unter Kaiser Friedrich II wurde die
Reichsunmittelbarkeit erreicht. Im Jahre 1216 erhielt Wesel als erfolgreicher
Wirtschaftsstandort die Stadtrechte mit einem eigenem Siegel, dem "Sigillum
Civitas Wesalie". Zu dieser Zeit wurde auch mit dem Bau der ersten Stadtbefestigung
begonnen. Unter dem Trierer Kurfürsten und Erzbischof Balduin von Luxemburg
(1307-1354) gelangte die Stadt hundert Jahre später zusammen mit dem etwas weiter
stromabwärts gelegenen Boppard in den Besitz des Erzbistums Trier. Kurz danach
entstand durch Erweiterung der Stadtbefestigung auf die nördliche Vorstadt die
sogenannte "Niederburg", während der Einbezug der südlichen Teile in die
Befestigungsanlage erst viel später in der Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgte.
Die mittelalterliche Stadtbefestigung besaß danach nicht weniger als 21 Türme,
von denen immerhin 18 bis in die heutige Zeit erhalten geblieben sind, wie auch
mehrere Stadttore, die Niederburg sowie der nördliche Ochsenturm. Alles in allem,
eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadtbefestigungen dieser Art im
Rheinland. Kein Wunder also, dass man in Oberwesel dieses kulturelle "Erbe" mit
viel Engagement pflegt. Eine Vielzahl liebevoll restaurierter Fachwerkhäuser
säumen deshalb heute die Hauptstraße durch den Ortskern. Der Name "Oberwesel"
wurde übrigens erst im 17. Jahrhundert gebräuchlich, um Verwechslungen mit der
niederrheinischen Stadt Wesel zu vermeiden.
Schon von weitem sichtbar ist Oberwesels mittelalterliche Liebfrauenkirche. Dies
nicht nur, weil sie auf einer kleinen Anhöhe etwas außerhalb des eigentlichen
Ortskernes steht, sondern auch wegen ihrer leuchtend roten Farbe. Sie wurde in
den Jahren 1308-1351, der Zeit der Hochgotik, erbaut und besitzt einen der
ältesten und wertvollsten Hochaltäre im Rheinland. Fünf mittelalterliche Glocken
aus den Jahren 1353-1404 sind noch vorhanden. Sie zählen zu den besonders wertvollen
Schätzen dieser Basilika, die ein ausgesprochen hohes Mittelschiff besitzt,
flankiert von zwei niedrigen Seitenschiffen. Direkt bei der Kirche beginnt der Weg
hinauf zu Schloss Schönburg. Von dort hat man einen herrlichen Rundblick: auf
der einen Seite liegt die Liebfrauenkirche mit Oberwesel, während stromaufwärts die
Burg Pfalzgrafenstein aus der Ferne heraufleuchtet, auf der Höhe des Städtchens Kaub
mitten im Rhein gelegen. Die Schönburg aus dem 12. Jahrhundert liegt auf einem nach
drei Seiten steil abfallenden Bergsporn und ist eigentlich eine "dreifache" Burg
mit drei Bergfrieden und drei Wohnbereichen für ebenso viele Familien aus dem sehr
alten Adelsgeschlecht derer von Schönburg. Wegen der steilen Felsen führt der einzig
mögliche Zugang von Norden her über einen schmalen Grat zur Festungsanlage. Auf
dieser Seite ist die Schönburg durch wuchtige, meterdicke Mauern mit Wehrgängen und
Schießscharten gesichert, die auch heute bei den Besuchern ihren Eindruck nicht
verfehlen. Nach der Zerstörung der Burg durch französische Truppen im Jahre 1689
gerieten die Ruinen für fast 200 Jahre in Vergessenheit, bis sie 1885 in
amerikanischen Besitz gelangten und in der Folge wieder vollständig aufgebaut wurden.
Heute ist die Schönburg im Besitz der Stadt Oberwesel. In den Räumen der Burg
befinden sich ein Restaurant mit Hotel sowie ein Jugendzentrum. Auf den
sonnenbeschienen Hängen rund um das Schloss gibt es insgesamt 72 ha Weinberge, die
dazu beitragen, dass Oberwesel zu einer der größten Weinanbaugemeinden am Mittelrhein
geworden ist.
Oberwesels mittelalterliche Silhouette und seine spezielle "romantische" Atmosphäre
haben die Stadt im 19. Jahrhundert zum Treffpunkt der "Romantiker" werden lassen.
Insbesondere der englische Dichter Lord Byron (1788-1824) trug zu dieser Entwicklung
bei, indem er das Rheintal durch seine romantischen Gedichte ("The castled crag of
Drachenfels frowns o'er the wide and winding Rhine, whose breast of waters broadly
swells between the banks which bear the wine") berühmt machte. Danach setzte ein
eigentlicher Strom von Besuchern aus aller Welt zum Mittelrhein ein. Es war dies die
Zeit, als Dichter und Komponisten wie Heinrich Heine, Friedrich Silcher, Hoffmann
von Fallersleben oder Karl Simrock mit ihren Werken den "romantischen Rhein"
verklärten.