Die Kelten im Nahetal und Hunsrück
Klare Hinweise für die Geschichte der Kelten finden sich erst in der späten
Bronzezeit im 13. Jahrhundert v. Chr. mit dem Beginn der Canegrate-Kultur
(so genannt nach dem wichtigsten archäologischen Fundort "Canegrate" bei Legnano
nördlich von Mailand, Italien). Die Canegrate-Kultur wurde von keltischen
Einwanderern begründet, die vom nordwestlichen Alpenrand über das Gebirge in die
Region zwischen Lago Maggiore und Comer See kamen. Sie brachten eine Sprache mit,
aus der sich das "Altkeltisch" kontinuierlich entwickelt hat. Dies in
direkter Nachbarschaft zu den Golasecca-Kelten des Tessins (so genannt nach dem
wichtigsten archäologischen Fundort "Golasecca" am Ausfluss des Ticino aus dem
Lago Maggiore) und den Helvetiern im Norden, deren Siedlungsgebiet weit nach
Süddeutschland hinein reichte.
Im 13. Jahrhundert v. Chr. herrschte im Mittelmeergebiet das Volk der Mykener,
die im großen Stile Metallvorkommen aufspürten und ausbeuteten, da in der
damaligen "Welt" ein großer Bedarf an Kupfer- und Zinnerzen bestand, die für die
Herstellung der Bronze benötigt wurden. Nach dem Zusammenbruch der mykenischen
Vormachtstellung entstanden rund ums Mittelmeer die Hochkulturen der Assyrer,
Phönizier und Griechen. Macht und Reichtum der Phönizier und Griechen
stützten sich dabei vor allem auf einen hervorragend organisierten Seehandel ab, der
sich über das gesamte Mittelmeer sowie entlang der Atlantikküste bis nach Britannien
und Irland erstreckte.
Der Handel mit Eisenerz
Mit dem Aufkommen des neuen Rohstoffes "Eisen" entwickelten sich um 800 v. Chr. in
Mittelitalien zwei weitere Regionen zu enormer wirtschaftlicher und kultureller
Blüte: im Westen Vulci in Etrurien und im Osten, an der Adriaküste gelegen,
Picenum. Es waren dann auch die Etrusker von Vulci, die in der
Hallstattzeit (800-475 v. Chr.; so genannt nach dem wichtigsten archäologischen
Fundort Hallstatt am Hallstätter See, österreich) den "europäischen" Rohstoffhandel
stark intensivierten und ausbauten. Große Bedeutung als Handelswege hatten dabei im
Westen die "Zinnstraße" —von Marseille ausgehend entlang der Rhone/Saône
über Bragny und weiter entlang der Seine/Loire nach Britannien— und im Osten die
"Bernsteinstraße" durch die Mährische Pforte ins Weichseltal und weiter ins
Baltikum. Diese beiden Handelswege wurden von süddeutschen Kelten durch die
"Donaustraße" miteinander verbunden.
Eindrückliches Zeugnis dieser Epoche ist die nahe der Donauquellen um 625 v. Chr.
errichtete Heuneburg, die sich über 150 Jahre als bedeutendste keltische
Handelsmetropole rechts des Rheins behaupten konnte. über diese Handelswege gelangte
auch etruskischer Wein, das entsprechende Trinkgeschirr sowie eine enorme
Vielfalt anderer etruskischer Kunstgegenstände zu den keltischen Völkern im Austausch
für die Rohstoff-Lieferungen.
Die Hunsrück-Eifel-Kultur
Um 475 v. Chr. mit dem Beginn der Latène-Zeit trat bei den keltischen Stämmen ein
tiefgreifender sozialer Strukturwandel ein, dessen Ursachen unbekannt sind. Gleichzeitig
entwickelte sich ein völlig neuer, unvergleichlicher Kunststil mit einzigartigen
Ornamenten und Motiven auf Waffen, Geräten und Schmuckgegenständen der keltischen
Oberschicht. Diese Stilrichtung ist als "Keltischer Stil" in die Kunstgeschichte
eingegangen mit eigenständigen Meisterwerken und einer Ikonographie, die ganz
offensichtlich von der keltischen Mythologie inspiriert worden ist. Eine ausgesprochen
progressive Rolle spielte hier der Hunsrück-Eifel-Raum, so dass man sogar von der
"Hunsrück-Eifel-Kultur" spricht, was den Stellenwert dieser Region in der
damaligen Zeit widerspiegelt.
Einzigartige Kunstwerke und Goldschmiedearbeiten in den Elitegräbern belegen insbesondere
auch die wirtschaftliche Prosperität des Hunsrück-Eifel-Raumes dieser Zeit. Die beiden
Abbildungen zeigen eine Trinkschale aus dem "Fürstengrab" von Schwarzenbach/Hunsrück
im frühen keltischen Stil aus der Zeit 450-375 v. Chr. und Goldringe aus dem Grab der
"Fürstin" von Waldalgesheim/Nahetal aus der Zeit um 325 v. Chr. im Rankenstil.
Wirtschaftsraum Hunsrück
Eisenerzvorkommen, die im Tagebau abgebaut werden konnten (z.B. Schwarzenbach), bildeten
die Basis des Reichtums kombiniert mit dem direkten wirtschaftlichen Interesse der
Etrusker. Das Roheisen kam in Form von Doppelspitzbarren von etwa 50 cm Länge in
den Handel, wobei die Verhüttung des Eisenerzes eine große Menge an Holzkohle erforderte
mit entsprechendem Holzraubbau in den umliegenden Wäldern (125 kg Eisenerz und 125 kg
Holzkohle ergaben 10 kg Eisen). Rückgrat des Handels war ein gut ausgebauter Verkehrsweg,
der über die Hunsrückhöhen an den Rhein führte —heute als
"Via Ausonia"
bekannt. Dazu kam eine neue Nord-Süd-Achse über den San-Bernardino Pass, so dass die
Hunsrück-Region über den Walensee, den Zürichsee, die Limmat, die Aare und den Rhein
bis zur Mündung von Nahe und Mosel auf dem Wasserwege direkt erreichbar war.
Erste Hochkultur West- und Mitteleuropas
Es ist zu vermuten, dass mit dem Beginn der Latène-Zeit auch die Schrift im
keltischen Sprachraum in Gebrauch gekommen ist. Damit waren die Voraussetzungen für die
Entwicklung eines "städtischen" Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gegeben, das
wissenschaftlich als "Oppidazivilisation" bezeichnet wird (von lateinisch
oppidum=Stadt). Die größten "Oppida" der Region waren
Otzenhausen
im Hunsrück und der Donnerberg in der Pfalz, etwa 35 km südlich des Nahetals gelegen.
Spätestens mit Einführung der keltischen Münzprägung im 3. Jahrhundert v. Chr. kann man
von der ersten Hochkultur West- und Mitteleuropas sprechen, die während mehr als
200 Jahren prosperierte. Dabei ist aber zu beachten, dass die "Kelten" niemals ein
eigentliches Reich oder einen Staat besaßen, sondern in einzelnen Stämmen und monarchisch
regierten Stammesverbänden organisiert waren (nur im Kampf gegen die römische Eroberung
58-51 v. Chr. durch Cäsar scheinen die westlichen Stämme unter Vercingétorix
für kurze Zeit geeint). Trotzdem errichteten die Kelten einen weiträumigen Kulturverband,
in dem mit hoher Wahrscheinlich eine einzige Gruppe zusammenhängender Sprachen verbreitet war.
Keltische Expansion
Um 400 v. Chr. begannen keltische Stämme nach Oberitalien einzuwandern, mehrheitlich
in unbewohnte Landstriche, die sie urbar machten und bebauten. Sie eroberten und plünderten
aber auch wichtige Städte, so Como, Mailand und Bologna. Die Stadt
Rom wurde 387/386 v. Chr. sieben Monate lang belagert, bis sie sich mit Gold
freikaufte. Erst 225 v. Chr. nach der siegreichen Schlacht von Telamon eroberte Rom —als
neue Supermacht in Italien— ganz Oberitalien zurück. Damit setzte eine zweite Keltenwanderung
ein, diesmal in nördlicher Richtung.
Mit Beginn der keltischen Wanderungen um 400 v. Chr. traten diese Völker auch ins Rampenlicht
der Geschichte. Man findet erste ausführliche Berichte bei Ephoros (405-330 v. Chr.),
Platon (429-347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.). Spätere Berichte
sind u.a. im Geschichtswerk des Poseidonios von Apameia (135-50 v. Chr.), bei
Diodoros (um 50 v. Chr.) und im "Gallischen Krieg" von Julius Cäsar (100-44 v.
Chr.) zu finden. Dabei handelt es sich meistens um ein recht einseitiges Bild der "Barbaren",
die als unzivilisierte Wilde, jähzornig und rauflustig, streitsüchtig und kriegslüstern
beschrieben werden. Solche Eigenschaften dienten Cäsar letztlich als willkommener Grund, in
Gallien einzumarschieren und dort für Ordnung zu sorgen.
Oppidazivilisation
Der Schlüssel zum heutigen Verständnis des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems
der Kelten ist die frühstädtische Lebensform aufgrund einer prosperierenden Wirtschaft, die
sogenannte Oppidazivilisation. Kennzeichen dieser Zivilisation war eine Siedlungsform,
die Einzelhöfe (lateinisch: aedificia), unbefestigte Dörfer (lateinisch: vici) und befestigte
Städte (lateinisch: oppida) umfasste. Die Einzelhöfe reichten von einfachen Bauernhöfen bis
zu den Gutshöfen der Aristokratie. In den Dörfern und Städten gab es eine handwerkliche
Spezialisierung (z.B. Eisenverarbeitung, Töpferei) und an gewissen, verkehrsmäßig günstig
gelegenen Orten eine politisch-religiöse Zentralverwaltung. Diese politischen
Verwaltungseinheiten werden bei Cäsar als Staat (lateinisch: civitas) bezeichnet,
d.h. als politische Gebilde, die ein bestimmtes Territorium umfassten, von einem zentralen
Ort aus verwaltet wurden und deren politische Lenkung in den Händen der lokalen Elite lag.
Als Repräsentanten der religiösen Führung fungierten die Druiden, die auch die religiösen
Stätten verwalteten, für die Bildung zuständig waren und Recht sprachen —somit gleichsam Kirche,
oberster Gerichtshof und Universität verkörperten.
Der Untergang der keltischen Kultur
Nach der Eroberung Galliens durch Cäsar (58-51 v. Chr.), in deren Verlauf mehr als 1 Million
Menschen den Tod fanden, haben sich die Kelten in dem nun einsetzenden Romanisierungsprozess
erstaunlich schnell an die neuen Verhältnisse angepasst. Dies lässt sich an den Gräberfeldern
der keltischen
Treverer
im Hunsrück gut verfolgen. Die neu gegründeten römischen Städte und Dörfer taten
ein übriges, auch wenn die erdrückenden Steuerlasten der Römer mehrfach zu Aufständen führten.
Mit dem Untergang des Römischen Reiches im Jahre 486 n. Chr. und dem Einsetzen der
Völkerwanderung endeten dann die letzten Formen keltischer Kultur fast überall in Europa.
Keltische Festungsanlagen
Zwischen Nahe, Mosel und Saar sind im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. eine ganze Reihe von
Befestigungen und Burgen in der Nachbarschaft von Siedlungen entstanden. Die bekanntesten
Beispiele sind die Altburg bei
Bundenbach
(um 120 v. Chr. in der heutigen Form ausgebaut) und
Otzenhausen
(um 80 v. Chr. in der heutigen Form entstanden). In der folgenden Liste sind die wichtigsten
archäologischen Fundorte im Nahetal und Hunsrück aus keltischer —in einigen Fällen
frühkeltischer— Zeit zusammengestellt. Alle diese Orte liegen in landschaftlich ausnehmend
schönen Gegenden und eignen sich bestens für einen anregenden Ausflug an einem Sonntagsnachmittag.
- Altenbamberg im Nahetal (bei Bad Münster am Stein): Grabhügelfeld und Abschnittswall auf dem Schlossberg
- Bad Kreuznach im Nahetal: Ringwall auf der "Gans"
- Brauweiler im Nahetal (bei Kirn): Grabhügelfeld
- Bundenbach im Hahnenbachtal (bei Kirn, Rhaunen): restaurierte 'Altburg' mit Freilichtmuseum
- Fischbach im Nahetal (zwischen Idar-Oberstein und Kirn: Ringwall am "Regelsköpfchen"
- Hochstetten-Dhaun im Nahetal (bei Kirn): Grabhügelfeld
- Hoppstädten-Weiersbach im Nahetal (bei Birkenfeld): befestigte Siedlung 'Altburg'
- Kirnsulzbach im Nahetal (bei Kirn): Abschnittswall/Schlackenwall auf dem Bremerberg
- Langenlonsheim im Nahetal (bei Bad Kreuznach): Grabhügelfeld
- Neu-Bamberg im Nahetal (bei Bad Münster am Stein): Fluchtburg auf dem Galgenberg
- Waldlaubersheim im Nahetal (bei Bingen): Grabhügelfeld
- Alteburg im Hunsrück (bei Gemünden): Fliehburg
- Bescheid im Hunsrück (bei Thalfang): Hügelgräberfeld
- Gehweiler im Hunsrück (bei Hermeskeil): Grabhügelfeld in der Nähe der Grimburg
- Hilscheid im Hunsrück (bei Thalfang): Ringwallanlage auf dem Röderberg
- Horath im Hunsrück (bei Thalfang): Grabhügelfeld
- Ohligs-Berg im Hunsrück (bei Bingen, Trechtingshausen): Abschnittswall
- Otzenhausen im Hunsrück (bei Hermeskeil, Nonnweiler): Hunnenring auf dem Dollberg (Oppidum)
- Ringskopf im Hunsrück (bei Allenbach, auch über Kirschweiler Festung): Wallanlage
- Rinzenberg im Hunsrück (bei Hermeskeil: Fliehburg "Vorkastell"
- Wildenburg im Hunsrück (bei Kempfeld, Schauren): Wallanlage
- Wederath im Hunsrück (bei Morbach): Grabhügelfeld und Museum direkt an der Via Ausonia
- Perl-Borg im Moseltal (an der französischen Grenze): rekonstruierte römische Villa keltischen Ursprungs
- Pommern im Moseltal (bei Cochem): Oppidum auf dem Martberg
- St. Goarshausen im Rheintal (bei St. Goar): Befestigungsanlage Hünenberg
- Koblenz im Rheintal: Wallanlage auf dem Dommelberg
- Donnersberg in der Pfalz (bei Rockenhausen): Ringwallanlage (Oppidum)