Geschichte des Nahetals
Die Besiedlung des Naheraums und des Hunsrücks durch die Menschen
der Jungsteinzeit (8000-2000 v. Chr.), der Bronzezeit (2000-800 v. Chr.)
und der Eisenzeit (800-50 vor Chr.) ist durch eine Vielzahl von Funden
belegt. Gebrauchs- und Kultgegenstände, Waffen und Schmuck geben
dabei jedoch nur unzulänglich Auskunft über die Lebensbedingungen
und die sozialen Strukturen dieses geschichtlichen Zeitraums. Im letzten
vorchristlichen Jahrhundert (58-51 v. Chr.) drangen römische Truppen
unter Julius Cäsar in Gallien ein und stießen bis in die linksrheinischen
Gegenden des heutigen Deutschlands vor. Naheraum und Hunsrück
gehörten zu jener Zeit zum Siedlungsgebiet der
Kelten,
die die erste
Hochkultur West- und Mitteleuropas errichtet hatten mit eigener
Münzprägung, Schrift und einheitlicher Sprache. Auf diese Sprache soll
der Name "Nahe" zurückgehen, da die Kelten den Fluss "Nawa"
nannten, was soviel wie "reißendes Wasser" bedeutet. Es gibt einige
Hinweise, die vermuten lassen, dass die Kelten bereits einen primitiven
Weinbau betrieben haben. Die gigantisch anmutenden Ringwallanlagen
auf dem Donnersberg oder in Otzenhausen, vor denen auch heutige
Besucher staunend stehen, zeugen sehr eindrücklich von der kollektiven
Leistung des keltischen Stammes der Treverer. Ähnliche Anlagen, von
jedoch bescheideneren Ausmaßen, kann man beinahe überall auf den
Höhenlagen des Nahetals und des Hunsrücks antreffen. Auch
Zeugnissen der fast 500 Jahre währenden
römischen Herrschaft
(51 v. Chr. - 406 n. Chr.) begegnet man allenthalben in der Region. So
vermittelt beispielsweise die in Bad Kreuznach entdeckte römische Villa
mit mehr als 50 Räumen und zwei großflächigen Mosaiken ein
eindrückliches Bild vom Wohlstand und Luxus der damaligen Epoche.
Mit dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft, ausgelöst durch
den Überfall der germanischen Stämme der Vandalen, Sueven und
Alanen in den Jahren 406/407 und die Raubzüge der Hunnen unter
ihrem König Attila, übernahmen vorübergehend Alemannen aus dem
süddeutschen Raum die ehemals römischen Herrschaftsgebiete im
Nahetal und Hunsrück. Dies, nachdem die in Worms ansässigen Burgunden
durch römische und hunnische Truppen zwischen 435 und 451
vernichtend geschlagen und vertrieben worden waren. Salische Franken,
die zuvor ganz Gallien unter ihre Herrschaft gebracht hatten, eroberten
im Jahre 496 unter dem Merowingerkönig Chlodwig die ganze Region
und besetzten damit auch den Naheraum. Das neu entstandene, riesige
Frankenreich war in Gaue eingeteilt, die von Grafen verwaltet wurden
("Gaugrafschaftsverfassung"). Interessanterweise lehnte sich die "neue"
staatliche Gliederung sehr stark an die Verwaltungseinheiten der
römischen Zeit an. Der Begriff "Gau" (lateinisch: pagus) war zunächst
nur eine geographische Bezeichnung, während der Begriff "Grafschaft"
(lateinisch: comitatus) die Verwaltungseinheit bezeichnete. Die Grafen
waren anfänglich vom König auf Lebenszeit ernannte Beamte, die an
Stelle des Königs die Gerichts-, Finanz- und Polizeigewalt ausübten. Erst
im 11. Jahrhundert wurde die Erblichkeit des Grafentitels rechtlich
anerkannt. Die Grafschaften selber waren wiederum in
"Hundertschaften" (lateinisch: centenae) unterteilt, denen die Ausübung
der niederen Gerichtsbarkeit in Bagatellsachen zugewiesen war. Viele
der heutigen Dorfnamen, die beispielsweise auf -heim, -hausen, -stätten
oder -weiler enden, gehen somit auf fränkischen Ursprung zurück.
Die Gaugrafen-Familie der "Emichonen", so genannt nach ihren Grafen
mit den Namen Emicho I. - Emicho V., herrschte im 10. bis Ende des
11. Jahrhunderts im "Nahegau". Ihre Nachfahren nannten sich ab etwa
1100 "Wildgrafen" und bauten als Stammburgen oberhalb von
Kirn
die Kyrburg, im Hahnenbachtal die
Schmidtburg
und gegen Ende des
12. Jahrhunderts Schloss Dhaun, ungefähr 10 km naheabwärts zwischen
Kirn und Bad Sobernheim. Ab 1124 entwickelte sich in der Nähe von
Bad Kreuznach die Grafschaft
Sponheim
zu einem weiteren
bedeutenden Machtfaktor der Region, deren Einfluss schließlich von der
Nahe bis zur Mosel reichte, die sich aber bereits 1230 in eine "vordere"
und eine "hintere" Grafschaft aufteilte. Mit dem Aussterben der
Sponheimer im Jahre 1437 fiel das Nahegebiet an die Kurpfalz, die
Markgrafen von Baden und die Grafen von Veldenz. Im Dreißigjährigen
Krieg (1618-1648) wurde die Nahe-Hunsrück-Region besonders schlimm
verwüstet und die Bevölkerung auf ein Drittel dezimiert. In dieser Zeit
gab es sogar spanische (1620) und schwedische (1632)
Militärverwaltungen in Bad Kreuznach. Gegen Ende des 17.
Jahrhunderts drangen französische Truppen unter Ludwig XIV. in den
Naheraum ein. Viele Burgen, Städte und Dörfer wurden dabei
weitgehend zerstört und niedergebrannt, so
Bad Sobernheim
im Jahre 1689.
Im Jahre 1798 wurde unter Napoléon das gesamte linksrheinische Gebiet
des heutigen Deutschlands Bestandteil Frankreichs, einschließlich der
Einführung von französischem Recht (Code civile Napoléon) und
französischem Geld. Dies bedeutete gleichzeitig aber auch das Ende der
regionalen Feudalsysteme mit ihren Standesvorrechten, der Leibeigenschaft
und den aufgezwungenen, unsäglichen Fronarbeiten. Spürbare
Erleichterungen für die Bevölkerung brachte vor allem die Trennung
von Verwaltung und Rechtsprechung. Um die Jahreswende 1813/1814
zwangen dann Österreicher, Preußen und Russen Napoléon zum
Rückzug. Von Norden her erstreckte sich ab 1815 Preußen bis zur Nahe,
die in ihrem Unterlauf teilweise die Grenze zu hessischem Territorium
und in ihrem mittleren Bereich die Grenze zu bayrischem und
hessisch-homburgischem Territorium bildete. Der Oberlauf der Nahe gehörte
zum Birkenfelder Land, das der Wiener Kongress Großherzog Peter
Ludwig von Oldenburg als Entschädigung für Gebietsverluste zuwies
—die seit Jahrhunderten andauernde machtpolitische Zerstückelung der
Region wurde damit fortgeschrieben. Das "Fürstentum Birkenfeld" blieb
bis 1937 bestehen, dann wurde es ein
Landkreis
der Rheinprovinz. Die Nahe fließt heute durch zwei Bundesländer: das Saarland und
Rheinland-Pfalz.